Schweigen – im Hause Gottes wohnen (Predigt 13. Juli 2019)

Was unsere Augen sehen, haben wir im Blick.

Was unsere Hände greifen, haben wir im Griff.

Was unser Geist denkt, das fassen wir in Worte.

Wir möchten definieren, bestimmen abgrenzen.

Wir planen und gestalten und meinen, Freiheit bedeute, alles selber machen zu können. Das ist die menschliche Katastrophe, auch genannt der Sündenfall. Denn mit der vermeintlichen Selbstkonzeption des Menschen hat er seine in sich ruhende Einung aufgegeben. Der Mensch ist doch viel mehr, als was er sehen, greifen und denken kann. Er ist Abbild einer permanent wachsenden Unendlichkeit. Unser Wesen vermag sich als Teil des Kosmos zu verstehen. Daher ist nicht das, was ich selber schaffe, die entscheidende Wirklichkeit, sondern dass, was über mein Begrenztes Ich hinausgeht. Um sich mit sich zu einen, Gott zuzulassen, und ihm zu begegnen erfordert zunächst den Aberglauben an das selbst Machbare aufzugeben. Warum glaube ich, sollten wir das tun? Weil wir nur so die Schöpfung verstehen. Weil wir nur so all eins zu werden vermögen. Weil wir nur so den Wahn menschlicher Selbstüberschätzung überwinden. Nicht der Mensch ist nach der Schöpfungsgeschichte die Krönung, das letzte Glied und der Gipfel des Erreichbaren, sondern es ist die Ruhe – shabbat, das zweckfreie alles Ruhen lassen.

Wir können nicht alles voll in den Blick bekommen.

Wir können nicht alles im Griff haben.

Wir können nicht alles in Worte kleiden, definieren, bestimmen und begrenzen.

Alles Menschliche bleibt immer ein Fragment, und es gibt etwas, was immer größer ist. Jahwe, Allah, Gott Vater der Unaussprechliche. Nur wer das eigene Fragmenthafte zu übersteigen vermag, lernt die Welt zu verstehen, und damit Gott wieder ins Leben zu lassen. Wie kann ich ihm begegnen?

Wie kann der Mensch sich mit sich versöhnen?

Liebe Gemeinde,

seit den Tagen des Bekenntnisses des „Schma Jisrael“

„Höre Israel! Der Ewige, unser Gott, der Ewige ist eins.“ suchen wir Gläubigen nach der Versöhnung mit uns und damit mit ihm als Teil unseres Selbst.

Das 1. Testament erzählt von einem Versöhnungsbund, den Gott mit den Menschen schließt. Teil dieses Bundes ist das Göttliche zu lieben und die sich daraus ergebenen Regeln unseres ethischen Miteinanders. Dabei offenbart sich Gott dem Moses in einer Wolke. Gott ist nicht die strahlende Sonne, sondern er ist der Verborgene. Der Verborgene führt das Volk durch Wüstenzeiten in die Freiheit.

Verborgenheit zu ertragen und immer neu ergründen zu müssen ist eine herausfordernde spirituelle Arbeit. Die den Glauben Suchenden wollten etwas Handfestes. Und so baut Salomo den Tempel in Jerusalem. Wir haben in der Lesung davon gehört. Es soll ein Haus Gottes werden. Doch wie will man ihn dort orten? Mit welcher Sprache ihn beschreiben? Gott ist der Unendliche. Welche Sprache und welcher Raum könnten ihn fassen? Die einzige Sprache, die keine Grenzen hat, ist das Schweigen. Im Tempel Gottes soll es daher bereits zu seinem Bau, keinen Lärm geben. 1. Kön,6,7: „Als das Haus Gottes gebaut wurde, waren die Steine bereits ganz zugerichtet, so dass weder Hammer noch Beil noch irgendein anderes Werkzeug beim Bau zu hören war.“ Das Haus Gottes atmet schwebendes Schweigen.

In eben diesem Haus – dann dem 2. dem herodianischen Tempel – erfährt Zacharias seine Gottesschau, die ihm die Geburt seines Sohnes Johannes ankündigt. Lukas komponiert diese Erzählung sprachlich anlehnend an die Erzählung der Geburt des Gottessohnes Jesus, was die Bedeutung dieser Episode hervorhebt. Wir haben gehört, Zacharias verstummt bei der Begegnung mit der göttlichen Botschaft. Erst anschließend dann wird Johannes gezeugt. Zacharias gewinnt seine Sprechfähigkeit erst nach seiner Geburt wieder. Der Rufer in der Wüste, der von dem Jesaja sagt, dass er Gott den Weg bahnen wird, der Täufer Johannes wird gezeugt in tiefem Schweigen. Die kraftvollen Worte des asketischen Mahners und sein Bekenntnis – „seht dort das Lamm Gottes“ – wurden geboren aus hörendem – und verstehendem Schweigen. 70 n. Christus zerstören die Römer das Haus Gottes. Das Haus aus Stein hatte keinen Bestand. Eine Mauer der Klage ist bis heute bedeutungs-schwanger der Ort, Gott berühren und festzuhalten. Finden und anbeten allerdings lässt sich Gott nur am Ort der Wahrheit – unserem eigenen tiefsten Seelengrund, so lehrte uns der Rabbi aus Nazareth. Mit der Geburt des Menschensohnes hat Gott uns die Wolke des Nichtwissens geöffnet. Denn mit den Augen Jesu schaut uns Gott an. Mit den Worten Jesu spricht Gott selbst uns an. Und mit der Art, wie Jesus die Seinen berührte, berührt uns Gott. Wir bedürfen keines Ortes aus Stein mehr. Im eigenen menschlichen Selbst eines jeden von uns offenbart sich die göttliche Unendlichkeit. Das ist die Großartigkeit der göttlichen Menschwerdung – der heiligen Weihnacht.

Liebe Gemeinde,

in den Tagen nach dem Tode Jesu berichten seine Freunde, dass sie ihm weiter begegnet sind. Obwohl sie sich verschlossen hinter Mauern und Türen; obwohl sie sich verschlossen, in Trauer oder überflüssige Aktivität; obwohl ihr Blick von Tränen verschleiert war, fand Jesus Zugang in ihre tiefe Seelenwahrheit. Thomas genannt der Zwilling vermochte die Fülle des Lebens erst zu spüren, als er sich auch den Verletzungen und dem Schmerz ausgesetzt hat und seine Finger in die Wunden legte. Dann aber gelangte er zu inneren Einung, die sich ausdrückte in einem gehauchten Satz, in einem kleinen Gebet, im Mantra des Lebens: „mein Herr und mein Gott“.

Die Freunde Jesu als sie sich verschlossen, ließen aber vor allem den Lärm außen vor. Sie hörten nicht die Stimmen der Vielen, das Gegröle der Gassenhauer und die Betörung der Meinungsmacher. Sie beteiligten sich nicht am Geschwätz, sondern verharrten an dem Ort, der nur einen Shabbatweg vom Ölberg entfernt war – also eine Strecke entfernt, um in innerer Ruhe zu verbleiben. Verschlossen von äußerer Betriebsamkeit wurde der Gott der Auferstehung Teil des erlösten Daseins. Das Unendliche findet seinen Platz im Schweigen. Nicht ein düsteres, beklommenes Schweigen, sondern ein Schweigen, das Sprache ist, ehrfürchtiges Schweigen, betendes Schweigen, verehrendes Schweigen – „mein Herr und mein Gott“.

Liebe Gemeinde,

es geht um eine Haltung. Um wirklich, d.h. wirkend mit sich in Kontakt zu sein, um alles, was mich ausmacht zu einen und zu erleben, muss ich auch das miteinschließen, was mein Begrenztes übersteigt. Dies gelingt nur auf dem Weg des selbst Unbegrenzten, also in der Haltung des Schweigens.

Erlöstes Schweigen verbleibt nicht in Passivität. Es geht nicht um verschwiegene Blockade. Der Tempel in Jerusalem war zu allen Zeiten auch ein politischer Ort, Zacharias verkündet nach der Zeit des Schweigens Gott in einem großartigen Lobgesang, Johannes der Täufer predigt gegen die herrschenden Klassen und die Freundinnen und Freunde Jesu öffnen an Pfingsten Fenster und Türen, um die Botschaft des Allerbarmers in die Welt zu tragen. Schweigen ist mehr als nicht reden. Schweigen ist Hören auf die Regungen der Herzen. Schweigen ist Aufmerken des Atmens Gottes. Schweigen ist Berührung mit der Ewigkeit.

Schweigen ist ganzheitlich. Wer schweigen kann, hört das Gras wachsen, Regentropfen fallen und die Schreie der gequälten Schöpfung. Während ich schweige spüre ich Fülle und den Drang, diese zu bewahren. Menschen, die zu schweigen vermögen, leben respektvoll.

„Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele Gott nach dir“ so haben wir im Wochenpsalm gebetet.

Ich möchte sie einladen nun einfach gemeinsam fünf Minuten zu schweigen.

Das geht am besten, wenn sie äußere Einflüsse außerhalb ihrer selbst lassen und dafür die Augen schließen.

Nehmen sie eine aufrechte Sitzposition ein, mitten sie ihre Hände in den Schoß und achten sie auf ein ruhiges Atmen.

Folgen sie zunächst den Worten des Psalmes. Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser. Wie fühlt, es sich an durstig zu sein – richtig durstig

Wie hört sich frisches Wasser an – wie schmeckt es

So lechzt meine Seele – in der Tiefe meine Selbst erspüre ich meine Sehnsucht – nach Ruhe – nach Kraft

Gott nach dir…

AMEN

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