Erntedankgottesdienst (06. Oktober 2019)

Man hat uns gelehrt auf die Herausforderungen des Lebens nach der Art zu reagieren, wie wir es erwachsen nennen. Wir stecken Kompetenzen ab und fragen uns, über welche Fähigkeiten wir verfügen. Wir überlegen genau, wer für welchen Bedarfsfall zuständig ist und werden so versuchen Not gegen Leistung zu verrechnen, um sehr bald zu merken, dass die Bilanz des Lebens so schnell ins Leere läuft. Denn niemals sind wir genügend ausgebildet, niemals genügend ausgerüstet und niemals genügend befähigt. Ist die Not des Menschen grenzenlos, wie z.B. in Syrien, dem Irak, Westafrika, Äthiopien und dem Sudan, Schuldenkrise Griechenland oder Klimawandel, so lässt sich aus dieser erwachsenen Analysewelt scheinbar nichts machen, und die Resignation behält das letzte Wort; sie bietet aber zugleich auch das Alibi für unser „Sich daran“ vorbeimogeln, das Alibi für jede Art von Herzensträgheit. In der Erzählung der Brotvermehrung geht es genau um jene Verwandlung unseres Denkens und Meinens, die es bedarf um zu verstehen, dass unsere leeren Hände den anderen einen Reichtum zu vermitteln imstande sind, den wir mit dem Blick auf uns selber zuvor nicht für möglich gehalten haben. Die Frage: „was habe ich“ ist das Absurdum, welches Jesus in dieser Geschichte offen legt. In der Logik der Frage, „was habe ich“ kommt eben nichts in Bewegung. Wir sollten lernen das Rechnen und das Zählen überhaupt dranzugeben. Das Wunder der Verwandlung beginnt, wo ich fraglos weiterschenke, was ich selber als Segen Gottes erhalten habe. Gott verwandelt nicht die Naturgesetze durchbrechend simsalabim wenig Brot und Fisch in tausendfache Nahrung. Es heißt, er teilt aus. Mehr schreibt der Text nicht über das Wunder der Verwandlung. Jesus teilt aus.

Und das Ganze ereignet sich, so die Erzählung in der Einöde, in der Wüste.

Bewusst komponiert Markus eine Parallele zur Exodusgeschichte, zur Geschichte des Auszugs des Volkes Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten. Eben hier nach drei Tagen, feiern die Menschen eines neues Passha Fest, ein Fest der Auferstehung. Auferstehung wird wahr, wo ich mein erwachsenes Denken überprüfe und ich mein Handeln nicht von Ängsten des Risikos bemesse, sondern von den Träumen der Freiheit für jedermann. Ostern bricht an, wo ich mich befreie aus der Sklaverei wirtschaftlicher Kalkulation hin zu wahrer Risikofreude nämlich in das Kapital menschlicher Entwicklung. Auferstehung ermöglichen wir, wo wir den anderen ermöglichen, ihre Sklaverei zu verlassen. Es ist nicht gerecht, dass unsere Luxusgüter Kaffee, Kakao, Ananas und Soyabohnen dort angebaut werden, wo Menschen besser Mais und Weizen anbauen müssten und wir dann auch noch an den Börsen einen Preis bestimmen, von dem unsere Lohnsklaven in Afrika nicht leben können. Es ist nicht gerecht, dass europäische Fangflotten vor der Küste Afrikas unseren enormen Goschhunger nach Fisch befriedigen und die Fischer vor Ort keine Lebensgrundlage mehr haben. Es ist nicht gerecht, dass der Nestlekonzern wasserreiches Land in Ägypten kauft und die Bevölkerung keinen Zugang mehr zu ihren Brunnen hat und statt dessen Nestlewasser aus Plastikflaschen kaufen muss. Es ist nicht gerecht, das Brot und Wasser an den Börsen der Industrienationen zu Spekulationsobjekten geworden sind. Es ist nicht gerecht, dass 80% der Kapitalströme an den 100 ärmsten Ländern vorbei fließen. Unsere Welt ist nicht gerecht. Das war sie noch nie. Wir Christen nennen uns aber Christen, weil wir glauben, dass Jesus aus Nazareth der Gesalbte Gottes war. Er lebte die Verheißung des Propheten Jesaja: brich dem Hungrigen dein Brot und führe die im Elend sind, in dein Haus hinein. Wir glauben dem, der das Licht in der Morgenröte wurde.

Jeder vermag es, zu einem Brunnen zu werden, zu einer Quelle des Lebens. Jeder von uns vermag es, recht zu leben vor Gott und gerecht für diese Welt.

Liebe Gemeinde,

das Wunder, das geschieht besteht im Austeilen selbst. Ein ganzes Prinzip des Handelns ändert sich. Man plant nicht mehr, man rechnet nicht, man wirtschaftet nicht im üblichen Sinn. Im üblichen Sinn bedeutet Schulden gegen Schulden zu verrechnen. Und der Mann aus Nazareth von dem wir auch sagen, er ist der Sohn Gottes erwartet von uns (nachzulesen in Lk. 6,35), dass wir Geld leihen sollen, ohne die Erwartung es zurückzuerhalten, wir sollen es schlichtweg verschenken anstatt darauf zu warten, dass der andere sich doppelt abrackert um es uns zu erstatten. Im Mut des Schenkens verwandelt Gott unsere vermeintlich leeren Hände in volle Körbe. Ein jeder von uns ist für sich ein solches Wunderwerk, das wenn es Eintritt in den Raum der Liebe, alles zu verwandeln im Stande ist: Angst in Zuversicht, Armut in Reichtum, Not in Sättigung. Alles verwandelt die Liebe. Jeder von uns vermag das Wunder der Verwandlung zu vollbringen, wenn wir Austeilen, was wir haben, so die ganz simple und anarchische Rechnung Gottes.

Liebe Gemeinde,

wir feiern ein Fest des Dankes nicht für das, was wir haben, konzipieren und aus Mutter Erde herauspressen. Wir feiern ein Fest des Dankes, weil wir sind. Weil Gott sich jedem von uns ausgeteilt hat. Weil jeder von uns in seiner unendlichen Schönheit ein Teil Gottes ist. Wir feiern Dank, weil jeder von uns sich Gott verdankt und ein Abbild seiner unendlichen Schöpfung ist. Natürlich ernähren wir uns von dem, was die Erde hervorbringt, aber es nährt uns doch, was wir als Menschen sind: kathedralhafte, lichtdurchflutete Schönheiten der Unendlichkeit, einmalige über sich selbst hinausweisende Wesen, die sich weitergeben und einander sein können wie Wasser in der Wüste. Dafür sagen wir Dank. Sich als jemand Verdanktes zu wissen, ist eine Grundhaltung, die dann wie von selbst Respekt und Wertschätzung für alles Leben mit sich bringt.

Liebe Gemeinde,

wenn wir gleich Abendmahl feiern, dann wird sie gegenwärtig für einen Moment die Verwandlung, die Gott selber ist und die er jedem ermöglicht. Gott begegnet uns im gebrochenen Brot und im getretenen Wein. Und Gott gibt sich weiter, wo wir einander werden zu Brot und Wein. Wo wir dies auch im Alltag leben, wird sie wahr, die Vermehrung des Lebens und der Menschlichkeit. Und die Ernte Gottes wird groß sein.

AMEN

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