Predigt zum Sonntag Rogate

Beten gelingt nicht durch das Formulieren vieler Worte.

Liebe Gemeinde,

ich glaube mit dieser Haltung hat der Wanderprediger aus Nazareth die Glaubenstradition seiner Zuhörer mit am Meisten erschüttert. Jesus predigt gegen eine veräußerlichte Religion. Ihm selbst und so lehrte er, jedem von uns, ist Gott so unendlich nahe, dass wir nichts ableisten müssen. Gebetspraktiken, die sich darin genügen, sich öffentlich zu präsentieren und das Abbeten eines vorgesetzten Gebetskanons zu absolvieren, war ihm zuwider. Euer Vater im Himmel weiss doch, worum ihr ihn bittet. Er weiß doch, was ihr ersehnt. Er weiß um eure Lebensthemen, die ihr teilen mögt mit der Allbarmherzigkeit, um sich aufgehoben und getröstet zu wissen. Mit Gott eins zu sein bedarf nicht vieler Worte. Jene bedürfen dies, die nicht in Einheit mit dem Vater sind. Vergewisserung im Sinne Jesu gelingt nicht durch rituelles Abbeten, sondern durch die Begegnung mit ihm im Verborgenen. Und trotzdem meinen gerade Menschen, die in christlichen Kirchen den Lehren Jesu folgen noch immer allzu oft, ein hohes Quantum an Psalm Gebeten, Liedstrophen und einstudierter ritueller Texte garantierten Gottesnähe. In dem Kloster, in dem ich z.B. regelmäßig einkehre, wird in einem Zyklus von 2 Wochen jeder der 150 Psalmen mindestens 1X gebetet. Die älteren von Ihnen erinnern sich daran, wie viel an Geboten und Katechismus Texten vor noch nicht allzu langer Zeit noch auswendig gelernt werden mussten, um religionsmündig zu sein. Und manch Fürbittgebet z.B. in ökumenischen Gottesdiensten wird nicht besser dadurch, dass wir es gerne unendlich in die Länge ziehen.

Das alles muss auch gar nicht per se schlecht sein. Aber es geht um die Haltung: meine ich, dass die 150 Psalmen in zwei Wochen ausreichen oder dass umso mehr wohlformulierte Texte, desto inspirierender, um inniger mit Gott zu sein? Rituale, Formen, Gebetsrythmen, sind unterstützende Gerüste. Doch sie bleiben dann nicht mehr als in die Luft gespuckte krankmachende Keime, sind sie nicht genährt aus tief empfundener Einheit mit Gott, dem Geborenschoß und Lebensflucht und Eintauchort in Ewigkeit. Das Wesentliche im Gebet geschieht im Verborgenen. Zieh dich in dich zurück. Gott selber wird dann zu dem Ort, an dem du sein kannst. Gott ist die so unendlich nah, wie das Rauschen des Meeres, wenn du eine Muschel an dein Ohr hälst und dann mach dich eins mit ihm. Und dann kannst du erspüren, dass er um dich weiss.

Liebe Gemeinde, Gebet bedeutet nicht, einen übellaunigen, evtl. cholerischen Übervater um irgendetwas zu bitten. So verbleibt Gottesbeziehung in einer permanenten Schleife von Enttäuschung und erneutem unterwürfigem Betteln. Gebet bedeutet, eins werden mit Gott und so sanft wie ein die Wangen streichelndes Säuseln zu erahnen, dass Gott um alles weiss, was mich ausmacht, mich erfüllt und mich bedrängt. Beten ist Bestärkt Werden in der eigenen Gottesverwandtschaft. Gottesbegegnung ereignet sich im Verborgenen, in dem was in mir verborgen ruht. Alltägliches ist Gebet: der US-amerikanische Dichter Walt Whitman schreibt: „An jeder Straßenecke finde ich Briefe Gottes – das grüne Gras ist ein duftendes Taschentuch Gottes mit seinen Initialen, das er fallengelassen hat, um uns an ihn zu erinnern“. Jede von uns ist ein Zeichen, Abbild, Signale Gottes – wenn wir einem Menschen ins Gesicht schauen und er schenkt uns ein Lächeln, dann bestärkt er unsere Gewissheit: Ich bin doch geschickt, bin ein Wesen, in dem sich Unendlichkeit abzeichnet. Darum ist Grüßen wichtig, besuchen, beschenken, stärken, lieben – weil es das Glanzvolle, das Kostbare in einem jeden schätzt und hochhält: Du bist ein Hauch Gottes. Du bist vom Himmel, du gibst meiner Seele Nahrung, doch zum Guten zu gehören. Du selber bist ein fleischgewordenes Gebet, ein Einblick in die Ewigkeit.

Und trotzdem feiern wir gemeinsam Gottesdienst, aber nicht, weil der Gottesdienst an sich uns heiligt, sondern er uns hilft und trägt in Gemeinschaft Wir begegnen den anderen Kundschafterinnen und Kundschaftern des Glaubens. Ja und Gottesdienst ist der Rhythmus, die Erinnerung, ein Raumhorizont auf den in mir Verborgenen zu achten und im Austausch über seine Wirkmächtigkeit ihm auch gemeinsam zu antworten.

Liebe Gemeinde, es war zutiefst das Anliegen Jesu: Gebet sei kein demonstratives lautes Plappern vieler gutgemeinter Worte. Erklärend mit einem Zitat von Antoine den Saint Excupery: Gebet ist nicht das Werkzeug, das ich benötige um ein Schiff zu bauen, sondern Gebet ist meine tiefe Sehnsucht mit einem Schiff das unendlich weite Meer zu überqueren. In unserer immer lauteren Welt und multimedialen Vernetzung werden wir leicht überrauscht. Gottes Flüstern ist schwerer wahrzunehmen. Und diese Krise des Glaubens ist kein neues Phänomen. Wir leben in einer veräußerlichten Welt. Traugott Giessen hat am Sonntag Rogate vor mehr al 20 Jahren an dieser Stelle gepredigt:„Es ist ein Jammer, wie Gottes ewige Stimme uns übertönt wird. Wenn wir nur noch auf Gelüst und Angst programmiert würden, auf Siegen oder Untergehen – Erfolg oder Habenichtse. Wenn Menschen verzweckt werden, muss man ihnen das Lauschen aufs Ewige austreiben. Wenn wir Kinder schon früh auf Markentreue abrichten, ihnen vorspielen, dass Kinder ohne diese Klamotten, ohne Geburtstag bei Mc Soundso nicht als Freunde in Frage kommen – und wenn in Talk-Shows Fragemeister immer schamloser die Mitmachenden bedrängen, ihr Innerstes nach außen zu kehren, nur damit unsere Schlüssellochgier bedient wird und wir damit die Quote erhöhen – und wenn wir die Dinge zu uns nicht mehr sprechen lassen, wenn wir einer Kuh nie mehr ins Auge schauen, sie uns nur als fernes Milch- und Fleischlager erscheint – und wir so auch das Miteinanderreden verlernten, dann kommt uns auch das Ewige abhanden.“ Sehr wahr und das schon seit mehr als 20 Jahren.

Die Krise des Glaubens ist nicht primär Krise eine Krise der Kirche, sondern des Verlustes des Tranzsendenzbezuges. Sehen wir eine Kuh, denken wir an Steak oder Milka Schokolade. Riechen wir Gras, denken wir an Allergien. Und begegnen wir Menschen, denken wir gerade, komm uns nicht zu nahe. Dabei ist die Kuh zunächst ein Wunderwerk der Schöpfung, der Geruch des Grases ein Parfum von Leben und die Augen von Menschen verliebte Seelenbilder Gottes.

Liebe Gemeinde, die Spiritualität des Nazareners ist es, dass in der Verborgenheit und nicht dem Außen dargestellten die Begegnung mit dem Wesentlichen sich ereignet. Und so wird die Begegnung mit der verborgenen Wahrheit des Grases oder der Kuh auch ein Gebet.

Liebe Gemeinde, ich möchte noch einen letzten Gedanken anfügen:

Die Leute kamen zu Jesus und fragten ihn: wie sollen wir beten?

Nach unserer dogmatischen Vorstellung und nach dem, was wir Konfirmanden beibringen und so wie wir viele Teile des Gottesdienstes feiern, hätte die Antwort Jesu lauten müssen: fallt vor mir nieder, ruft mich an als den Gesalbten Gottes, macht mich zum Gegenstand eurer Gebete. Ein Solches wäre ihm nie über die Lippen gekommen. Es wäre in seinen Augen schlicht Gotteslästerung gewesen. Deutlicher als an der Frage des rechten Betens erfährt man kaum, wie sich das unterscheidet was Jesus lehrte zu dem was nur wenige Jahrzehnte später sich daraus entwickelte und in den Konzilien des 4. Und 5. Jahrhunderts festgelegt wurde. Jesus stiftete keine neue Religion. Er wollte uns lehren wie es sich lebte ohne von Menschen erdachte Hindernisse zwischen ihnen und Gott. Er wollte uns eintauchen in ein Klima des Vertrauens und mit uns den Gott leben, zu dem er ABBA, mein lieber Vater sagte. Er gab uns Gott zurück als den, der das Verborgene sieht und alles von mir weiß, bevor ich meinen Mund öffne. Das zentrale Bekenntnis jüdischen Glaubens ist das Schma Israel. Jesus sprach es nicht nur er lebte es. Er veräußerlichte es nicht, er begriff es ganzheitlich:

Du sollst den ewigen deinen Gott lieben mit deinem ganzen Herzen, deiner ganzen Seele und deiner ganzen Kraft. Diese Worte die ich dir befehle seien in deinem Herzen, wenn du in deinem Haus sitzt und wenn du auf dem Weg gehst, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst. Binde sie zum Zeichen an deine Hand. Sie seien Stirnschmuck zwischen deinen Augen und schreibe sie an die Pfosten deines Hauses.

Diese Worte permanent im Bewusstsein zu tragen, führt dazu, Gott zu verinnerlichen, eins zu werden.

Wie sollen wir beten? Im weiteren Verlauf wird Jesus mit dem Vater Unser Text zitiert von dem wir meinen, es sei ein urchristliches Gebet. In Wirklichkeit lehnt sich der Wortlaut an verschiedene jüdische Gebete vor allem das Kaddisch an, die Jesus zusammenfasst und konzentriert. Es lohnt sich Zuhause mal das Kaddisch im Vergleich zum Vater Unser zu lesen und zu beten. Jesus lehrte keine neuen christlichen Gebete, sondern er träumte davon, den Gott, der keinen Namen trägt, sondern dort ist wo du bist, in allem zu begegnen und eins zu sein, wie es Grundlage der ältesten jüdischen Glaubensüberlieferungen ist.

Erhoben und geheiligt werde sein großer Name auf der Welt, die nach seinem Willen von Ihm erschaffen wurde – sein Reich soll in eurem Leben in den eurigen Tagen und im Leben des ganzen Hauses Israel schnell und in nächster Zeit erstehen.

Amen!…“

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