Predigt zum 20. Sonntag nach Trinitatis (14.10.2018)

Das 2. Testament, genannt das Neue, entsteht 35- 75 Jahre nach dem Tod Jesu. Die Überlieferungen speisen sich aus zwei Quellen.

1. Hinter jedem Evangelium, steht eine konkrete Gemeinde. In ihrem Aufbau und ihren sozialen Strukturen kann man an dem, was sie schriftlich festgehalten haben, deren Unterschiede ablesen. Jede Gemeinde tradiert und bewahrt das wieder aus dem Leben Jesu, was auch für das eigene Leben von Bedeutung ist. So wendet sich beispielsweise das Matthäusevangelium an Christen jüdischen Glaubenshintergrundes, das Lukasevangelium eher an Heidenchristen. Markus schreibt für eine Landgemeinde, Johannes für eine gebildete städtische Bevölkerung. Konkretes gemeindliches Leben bildete die Grundlage für das Entstehen der Jesusgeschichten. Zuerst lebten diese Gemeinden und erst Jahre später beauftragten sie Männer, schriftlich zu hinterlegen, was Tradition der jeweiligen Gemeinde war. Um neutestamentliche Texte zu verstehen, ist es daher immer wichtig, auch etwas über ihren Entstehungshintergrund zu wissen. Die Bibel ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern sie ist Gotteswort in Menschenwort.

2. Es gibt Worte in den Evangelien, die aus dem Rahmen fallen. Sie unterscheiden sich in ihrer Sprache, aber vor allem in theologischen Akzenten. Sie sind kein Spiegel des Gemeindelebens. Die Wissenschaft glaubt hinter diesen Worten über Jahrzehnte weitergegeben Originalworte und Szenen aus dem Leben Jesu von Nazareth. Mit einer solchen Geschichte haben wir es heute zu tun. Jesus wandert mit seinen Jüngern durch die Felder und zupft Ähren. Das auch noch an einem Sabbat.

Liebe Gemeinde,

diese Szene beschreibt das Leben der Jüngergemeinde Jesu, welches so gar nichts mit dem zu tun hat, was daraus geworden ist und Kirche heißt. Die ersten Hörerinnen und Hörer der Worte Jesu hatten keinen festen Ort an dem sie lebten, auch wenn man Kapharnaum und das Wohnhaus des Petrus vielleicht als Stützpunkt ansehen kann. Die ersten Anhänger Jesu zogen von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf. Kirche war wenn überhaupt, nicht Kirche einer festen Ortsgemeinde, sondern Kirche war eine im Unterwegs. Die ersten Überlieferer der Jesustradition waren Männer und Frauen, die ihre bürgerlichen Existenzen verlassen haben und auf Wanderschaft gingen. Und dabei zogen sie durch Felder und nahmen sich zum Essen, was sie benötigten. Die Menschen zur Zeit Jesu rümpften über diese Obdachlosen genauso die Nase, wie wir das heute tun würden. Und trotzdem ging von dieser ährenrupfenden Wandergruppe eine Faszination aus. Man wollte ihnen zuhören. Welche Botschaft war es, die die Freunde Jesu bewog, alles stehen und liegen zu lassen? Welche Botschaft war es, die so aufregend war, dass ihr verwunderlicher Lebensstil, wie zum Programm dazu gehörend, nicht ekelte, sondern andere anzog?

„Kehrt um, tut Buße und bereitet euch vor, das Reich Gottes ist nahe“

Das und nichts Anderes war die jesuanische Grundbotschaft. Umkehr, Buße und Reich Gottes – sind wir mal ehrlich wie unendlich weit weg sind diese Schlagworte von der Wirklichkeit unseres Lebens und vor allem. Wo wagt Kirche noch die Botschaft Jesu in dieser Deutlichkeit zu verkünden?

Das Problem liegt begründend in Kirche selber. Kirche, wie wir sie heute kennen, geht ja nicht auf diese Botschaft Jesu zurück. Der Mann aus Nazareth war davon überzeugt, dass die Gewalten seiner Zeit, dass Sozialgefüge und Familienverbände sich auflösen, weil es Endzeit wird, weil Reich Gottes anbricht – unmittelbar. Und dann braucht man keine festgefügte Kirche. Man benötigt auch keinen Gebotskanon. Man braucht auch keinen Gehorsam staatlicher Obrigkeit gegenüber.

Einzig wichtig ist, sich selber vorzubereiten auf den Anbruch der Wirklichkeit der Himmel, die das Leben in cosmischer Alldurchwirktheit neu machen wird.

Kirche entsteht Jahrzehnte später, als die Anhänger Jesu weiter warten mussten auf das Anbrechen des Reiches Gottes. Und warum ist die Botschaft Jesu, dass wir uns auf die Ankunft Gottes vorbereiten sollen so leise geworden? Vielleicht auch, weil Kirche eben kein radikales Gegenkonzept zu dieser Welt ist, sondern sich mit der Welt arrangiert hat. Kirche im Sinne Jesu hätte nur Sinn, wenn sie sich überflüssig weiß.

Kirche darf kein Selbstzweck sein. Allenthalben ein Verweis; ein Verweis darauf, dass wir Wartende sind. Wir alle sind Wartende auf das Anbrechen göttlicher Wirklichkeit in unsere konkrete Geschichte. Das machte die Botschaft Jesu so anders und so spannend vor 2000 Jahren in den Feldern Galiläas: sammelt euch keine Schätze, es zählt nur, was bleibt für die neue anbrechende Welt. Kümmert euch nicht, um das was sinnloserweise eure Energien schluckt, was euch ablenkt, sondern richtet euren Seelenfocus auf das Geschenk eurer Gottesunmittelbarkeit. Wie belanglos wird dabei so Vieles, dem wir Bedeutung und Kraft schenken.

Liebe Gemeinde,

ich bin kein religiöser Phantast. Ich weiß natürlich, dass es nicht möglich ist, nach dem Vorbild Jesu zu leben und mit Sandalen ohne Beheimatung ein Pilgerleben zu führen. Wir leben nun mal nicht in Israel, sind nicht aufgewachsen in jüdischer Glaubenstradition und messianischer Erwartung, haben uns soziokulturell weiterentwickelt und einen ganz anderen technologischen Lebensstandard. Auch möchte ich nicht 2000 Jahre Kirchengeschichte grundsätzlich schlecht reden. Christliche Ethik hat Europa geprägt. Freiheit, Gleichheit Brüderlichkeit wäre ohne kirchliche Verkündigungsleistung im Vorfeld niemals gedacht und zum Prinzip erklärt worden.

Wenn wir allerdings den zunehmenden Relevanzverlust von Kirche wahrnehmen und mit Recht bedauern, dürfen wir bei der Lösungssuche sehr wohl uns an die Anfänge der Jesusbewegung erinnern. Und Kirche war eben nicht eine festgefügte Ortsgemeinde mit Regeln, synodalen Prozessen, Haushaltsentwürfen, Mitarbeitervertretungen und aufgeblähten Rechtsabteilungen. Sehe ich Bilder aus Rom, bin ich eher erinnert an den byzantinischen Kaiserhof, als an den durch die Felder spazierenden Jesus v. Nazareth. Und die Tagesordnung der nächsten Kirchenkreissynode ist Ausdruck einer Kirche, die sich um die Sabbatgebote unserer Tage mehr kümmert, als um den Menschen. Jesus gründete eine Bewegung, und er war selbst in Bewegung und zupfte Ähren auf den Feldern Galiläas. Sein ganzes Wesen konzentrierte sich darauf, nicht das Leben zu organisieren, sondern sich auf dessen grundsätzliche Verwandlung vorzubereiten. Wir sollen unsere Zeit nicht verschwenden, aussehen zu wollen wie Salomo in seinen chicken Gewändern sondern leben wie die Blumen auf den Feldern, die allesamt schöner sind.

Kirche ist in einem Umbruch. Das geschieht zwar von ihr ungewollt, aber daran könnte man auch das Wirken des Hl. Geistes erkennen. Pastorenmangel und immer kleiner werdende Gemeinden, müssen unsere Phantasie in Gang setzen, wie die Weitergabe des Glaubens in Zukunft gelebt wird. An allen Orten und über die Konfessionsgrenzen hinaus nehme ich aber wahr, daß anstatt das Prinzip der festen Ortsgemeinde zu hinterfragen, immer größere Einheiten gebildet werden. Das ist phantasielos. Der durch die Felder spazierende Jesus, der alle Regeln außer Kraft setzt, könnte Vorbild für ein verändertes Kirchenverständnis sein.

Wie wird man Mitglied?

Wie und wo lebt man seine Mitgliedschaft?

Wer macht sich auf den Weg und verkündet?

Nicht was bewahren wir, sondern wovon trennen wir uns?

Welche Einrichtungen gutgemeinter christlichen Engagements ist Ballast?

Oh ja, das sind böse Fragen, aber ich würde so gerne ohne Gedankeneinschränkungen und Vorwürfe nachdenken dürfen. Und ich bitte sie alle, an die Orte, zu denen sie zurückkehren diese Fragen mitzunehmen und zu diskutieren.

Wie leben wir das Jesuswort: sammelt euch Schätze für den Himmel?

Welche neue Freiheit und Flexibilität müßten wir uns nehmen, um uns wirklich auf den Menschensohn auszurichten und nicht auf das Wirken der menschlichen Kirche?

Wenn sie mit ihren kirchl. Gremien darüber sprechen sollten, laden sie sie ein, den Sitzungssaal zu verlassen und mit ihnen durch die Felder zu laufen – tun wir er getan.

AMEN

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