Meine Lieben,
wenn man im Deutschen zum Ausdruck bringen möchte, dass ein Kind äusser- wie charakterlich nach seinen Eltern kommt, gibt es die Redewendung: das Kind ist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie die Eltern. Genau darum geht es dem Autor des Matthäusevangelium zu Beginn seiner Erzählung über das Leben des Jesus von Nazareth. Bevor ich euch über sein Leben berichte, muss ich euch erstmal schreiben, aus welchem Holz er geschnitzt ist und aus was für einem Stall er kommt. Literarisch war es üblich, dies mit einem Stammbaum darzulegen und hier dann die Parallele zum deutschen Sprachgebrauch.
Der Stammbaum Jesu zu Beginn des Matthäusevangeliums liest sich genauso spannend, wie seine literarischen Geschwister dieser Zeit: für uns Hörer 2000 Jahre später nichtssagend und langweilig. Die Hörer 70 nach Christus, zumal in der Adressatenschaft hauptsächlich Judenchristen, vermochten mit den Namen viel mehr anfangen wie wir, da sie die Geschichten der aufgelisteten Helden aus dem Torastudium viel präsenter im Sinn hatten, wie wir. Mit der Auflistung gerade dieser Persönlichkeiten ruft der Autor Geschichten und Bilder in Erinnerung aus der Heilsgeschichte Israels. Und eben in diese Geschichte Gottes mit seinem auserwählten Volk wird Jesus geboren in Nachfolge Abrahams und König Davids. Die kabbalische Zahlenmystik im Stammbaum zu erklären und zu deuten wäre auch ein Thema für eine Predigt. Ich möchte Euch heute aber vielmehr auf die vier Frauen hinweisen, die im Stammbaum erwähnt werden. Der Autor schreibt im Grunde nur über Männer, dabei wird man Teil der jüdischen Familie nur durch die jüdische Mutter. Es ist bemerkenswert, welche Frauenbiographien dem Evangelisten, nennen wir ihn wie er sich selbst tituliert, Matthäus, wichtig waren, im Stammbaum zu erwähnen. Und nochmal: will ich euch etwas über jemanden erzählen, erzähle ich euch aus wessen Holz er geschnitzt ist, aus was für einer Familie er oder sie stammt.
Matthäus fügt dem Stammbaum nicht die Namen der herausragenden und bis heute sowohl von Juden wie Muslimen verehrten Stammtütern Sara, Rebecca und Rahel bei, sondern Tamar, Rahab, Rut und Bathscheba. Den ersten Hörerinnen und Hörern dieses Evangeliums musste man nicht viel über das Leben dieser Frauen erzählen. Für uns heute möchte ich dies nun kurz nachholen.
Man hat uns Christen im Elternhaus und noch mehr im Konfirmandenunterricht gelehrt, wolle man näher zu Gott kommen und nach dem Tode ins Paradies, gelinge dies nur mit einem möglichst moralisch, nach den Kriterien der Kirche, der Volksmeinung und des Zeitgeistes entsprechenden Verhaltens ohne nennenswerte Abweichungen nach links oder rechts. Hiernach fallen aber die von Matthäus herausgehobenen Frauengestalten völlig durch.
Tamar
Nicht etwa Judas erstgeborener Sohn, für den, ein Schalk wer Böses dabei denkt, nicht er, sondern Juda sein Vater, Brautschau hielt und auch nicht sein zweiter Sohn, der Tamar dann zur Frau nehmen musste, sicherte die Linie Judas. Mit beiden Männern bekam Tamar keine Kinder. Um für sich der Schande zu entgehen, kinderlos zu bleiben und um ihrem geliebten Schwiegervater die Nachkommenschaft zu sichern, greift Tamar zu einer List. Sie verkleidet sich als Prostituierte und besucht Juda, beim Schafe hüten im Zelt. Verführen musste sie ihn wahrscheinlich nicht. Tamar wurde schwanger, aber von wem? Ihr Glück, Tamar entlieh sich in der Liebesnacht Judas Siegelring. Der Unzucht bezichtigt soll Tamar drei Monate später im Namen von Moral und Recht verbrannt werden. Derselbe Juda, der eine Nacht mit einer Dirne verbracht hat, gibt sich rigoros gegenüber seiner Schwiegertochter. Doch sie schickt den Siegelring vom Richtplatz zu Juda mit der Offenbarung, dessen Ring dies ist, dessen Kind ich trage. Da kann ein Mensch todesschuldig sein vor den von Männern erlassenen Gesetzen und kann doch Recht haben von seitens des Lebens. Da kann ein Mensch eventuell im Widerspruch leben zu dem was Anstand und Sitte bedeuten, aber doch anständig leben im Sinne der Liebe und der eigenen Würde. Da kann sich ein Mensch selbst schamlos erniedrigen, um seinen Stolz zu bewahren. Hätte Tamar nach Recht und Sitte gehandelt, wäre ihr Leben als kinderlose Witwe existentiell bedroht gewesen. Und die Geschichte Gottes mit uns Menschen wäre nicht weiter geschrieben worden. Mutige Tamar.
Rahab
Und nun wird es den Zuhörern zur Zumutung. Tamar wurde zur Prostituierten, weil sie es irgendwie musste. Rahab war es von Berufswegen. Der Nachfolger Moses Josua entsendet zwei Spione in die Älteste Stadt der Welt Jericho. Wie kann diese Stadt erobert werden? Josuas Spione gehen klug vor. Wer vermag es, männlichen Geheimnisträgern Informationen zu entlocken? Die Fachkräfte käuflicher Liebe. So begegnen die beiden Rahab. Sie versorgt mit ihrem Auskommen sich, ihre Eltern und Geschwister und weiss um die Stärke des Volkes, das die fruchtbaren Ebenen Kanaans besetzt und was es bedeutet, für die eigene Sippe nun verantwortlich zu handeln. Die Entscheidungsträger Jerichos hat sie als Kunden und so macht sie mit den Feinden ihrer Stadt ein Geschäft auf die Zukunft. Sie lässt sich nichts vormachen durch jene Mächtigen, die die Gefahr weglächeln und an förmlicher Pflicht festhalten. Sie spürt der Angst nach, die von Josuas Truppen ausgeht. Rahabs Lebenshunger sichert letztens das Überleben ihrer Sippe, Informationen gegen das Recht zu überleben.
Rut
Rut ist uns wahrscheinlich am ehesten bekannt durch ein Wort, das ihr zugeschrieben wird und das auf bald jeder zweiten Hochzeit heutzutage als Trauspruch zu hören ist gleichwohl Rut ihren berühmten Satz nicht zum geliebten Ehemann sagt, sondern zu ihrer geliebten Schwiegermutter und geliebt in der Tat ohne jede Ironie – wo du hingehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe auch ich.
Noemi beschließt in ihre Heimat Israel zurückzukehren und Rut ihre ebenfalls verwitwerte Schwiegertochter und heidnische Moabiterin, begleitet sie, nicht aus Pflicht heraus, sondern aus Liebe. Zwei Witwen ohne Einkommen. Wie das Überleben sichern? Nun erzählt die Bibel eine Geschichte, wie sie selbst bei Dallas und dem Denver Clan nicht geschmackloser nacherzählt werden konnte: Frau braucht eine gute Patie. Noemi ist aufgrund des Alters raus, also muss Rut ran. Und sie angelt sich den größten Großgrundbesitzer namens Boas. Die Liebe der Rut ausgedrückt in ihrem Satz voll Stolz und Demut zugleich, beschreibt eine Liebe jenseits aller schriftgelehrten Orthodoxie. Ihr Verhalten für Rechtglaubende ein Skandal, für einfach Liebende ein Zauber bis heute. Zeige mir, was dir das Heiligste ist und wie immer du es nennst, es soll auch Teil meines Lebens werden. Und so findet die Nichtjüdin Rut Einlass in den Stammbaum des Erlösers: für die Liebe existiert kein anderer Gott als die Kraft zweier verbundener Herzen.
Bathscheba
Und als wäre das nicht alles der Bedenklichkeit schon genug, erwähnt Matthäus auch noch die Frau, die für den dunkelsten Punkt, nebst seiner Liebe zu Jonathan, in der Biographie des Königs David sorgte, wobei warum überhaupt: sein Blick fiel doch auf sie als sie im Bade lag. Er der so heroische König war es doch, der darauf scharf vor Liebe Bathschebas Mann den Hauptmann Urija in der Schlacht in vorderste Reihe schickte, um sich dann nach seinem Tod, seine Frau zu angeln. Von wem ihr Verbrechen auch immer ausging: auch nach dem Tod ihres Erstgeborenen, was als Strafe Gottes gesehen wird, halten David und Bathscheba an ihrer Liebe fest. Trotz ihrer Schuld wird ihnen später der Erbauer des Tempels Salomo geboren.
Ihr Lieben,
aus was für einem Holz ist Jesus geschnitzt? Frauen vererben das jüdisch, das mit Gott im Bunde sein. Matthäus erinnert an Heldinnen, die nicht wegen Glaubensstrenge und moralischer Integrität zu Müttern des Menschensohnes wurden. Die Heldinnen in Jesu Stammbaum aus deren Holz er geschnitten ist, sind Frauen mit Brüchen, mit Eigensinn, Lebenshunger und Schuldverstrickung. Allesamt aber stark und alles andere als angepasst. Und genau so wird Gott Mensch. Die Gestalt des Erlösers wird nur sichtbar mit Verständnis, Geduld, Humor und Güte für alle Verwicklungen menschlichen Lebens. Heilsgeschichte setzt sich zusammen aus Schicksalen wie der Tamar Rahab, Rut und Bathscheba. Weil dies so ist, ist auch meine Hoffnung berechtigt, dass Gott in meinem Leben Gestalt gewinnt.
Ich wünsche euch ein gutes und frohmachendes Weihnachtsfest und das ihr nach zu spüren vermögt, dass Gott in eurem ganz konkreten Leben Teil geworden ist und gerade den vermeintlichen Schattenseiten göttlichen Glanz verleiht
AMEN