18. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Gemeinde,

der Predigttext dieses Sonntag ist wohl der am Wenigsten im Raum evangelischer Kirchen beachtete biblische Text. Martin Luther überlegte sogar, ihn gar nicht mehr in seine Übersetzung aufzunehmen, sondern als apokryphen Text auszusondern. Zu sehr widerspricht die Kernbotschaft des Jakobusbriefes der paulinischen und lutherischen Theologie von der Rechtfertigung. Wohingegen der Reformator sich berufend auf Paulus betonte, dass der Mensch allein durch seinen Glauben vor Gott bestehen kann, haben wir gerade aus dem Jakobusbrief gehört, dass Glaube ohne Werke tot sei und zu nichts helfe. Der Jakobusbrief ist Teil der Hl. Schrift und selbstverständlich müssen wir uns mit ihm daher auch auseinandersetzen. Um vermeintliche theologische Widersprüche zu verstehen, werfe ich mit ihnen zunächst einen Blick auf den Autor und seine Adressaten.

Der Absender stellt sich selber vor, als der Knecht Jesu und nicht als einer der Apostel. Er benutzt den Titel, der dem Bruder Jesu zugeschrieben wurde und wäre damit jener, der Gemeindeleiter der Gemeinde in Jerusalem war. Beim Apostelkonzil des Jahres 44 war Jakobus der Gegenspieler des Paulus und Vertreter, man würde heute sagen der Konservativen ersten Christen, nämlich derjenigen die die strikte Befolgung des von Jesus nie abgelegten oder in seiner Bedeutung bestrittenen jüdischen Gesetzes verlangten. Paulus hingegen entwickelte die Theologie des erweiterten Volkes Gottes, wozu er auch Nichtjuden zählte für die die Kultgesetze der Thora keine zwingende Bedeutung hätten. Ob der Autor des Jakobusbriefes eben dieser Gemeindeleiter der Jerusalemer Kerngemeinde und der Bruder Jesu war, ist heute umstritten. Da dem Briefautor in seiner Argumentation offensichtlich die paulinischen Briefe bekannt waren und sein Schreiben in sehr gutem griechisch verfasst ist, müsste der aramäisch sprechende mit großer Wahrscheinlichkeit des Schreibens gar nicht mächtige Bruder Jesu sehr alt gewesen sein. Beide Voraussetzungen sind unwahrscheinlich. Es ist in den neutestamentlichen Texten nicht ungewöhnlich, um einer theologischen Position Gewicht zu verleihen, eine Autorenschaft zu behaupten, die als anerkannte Autorität bekannt ist. Die Intention des Jakobusbriefes entspricht nämlich durchaus dessen, was man hinter einem Schreiben des Bruders Jesu und Jerusalemer Gemeindeleiters vermuten würde. Er wendet sich im ersten Satz bewusst an „die zwölf Stämme in der Zerstreuung“ also an Christen, die ihre Wurzeln im Volk Israel sehen und nach der Zerstörung Jerusalems 72 ins gesamte röm. Reich verbannt wurden. Der Jakobusbrief richtet sich an jene Christen, denen die Gesetze der Thora noch im Bewußtsein sind und sich sehr genau an das Wort Jesu erinnern:

ich bin nicht gekommen, um auch nur einen Buchstaben des Gesetzes aufzulösen, sondern um es zu erfüllen.“

„Was hilft´s wenn jemand sage, er habe Glauben und doch keine Werke?“

Zunächst ist es wichtig zu beachten, was der Autor, nennen wir ihn weiter Jakobus, meint, wenn er vom Glauben schreibt. Glauben liebe Gemeinde, Glauben ist mehr als bloßes „für wahr halten“. Jakobus erläutert sehr verständlich: auch der Teufel glaubt, dass Gott der Eine ist. Dieses für wahr halten stellt niemanden in Gottes Barmherzigkeit. Für wahr halten ändert keine Perspektive. Und für wahr halten besitzt keine Beziehungsdimension. Jakobus erklärt, was Glauben ist mit der Person des Stammvaters Abraham, für Judenchristen neben Mose und Elija die zentrale Glaubensfigur. Abraham lässt sich von Gott ansprechen. Spiritualität ist für ihn nicht nur Kultvollzug, fromme Sonntagspflicht oder eine mal verträgliche nette Abwechslung. Der Kontakt mit Gott ist für den Vater des Glaubens existentiell. Gott berührt ihn in seinem tiefsten Innern. Er lässt sein Wesen sich von ihm, den er nicht auzusprechen wagt, von dem er sich eingehüllt in Geborgenheit weiß, ausprägen. Abraham lässt sich selber los und hört auf die kosmische Unendlichkeit, den All-einen und lässt sich von ihm führen. Er lässt sich von ihm herausführen aus städtischem Wohlfühlklima, aus der rundum Versorgtheit. Glauben wie unser Stammvater bedeutet, bereit zu sein, aufzubrechen in neues- in eigenes Land. Das, was andere nur für ein wages, unbestimmtes Gefühl halten, für nicht konkret, unrealistisch und versponnen – für existentiell wahr zu halten, genau diesem Impuls zu vertrauen und auf dieses Wort Gottes hin sogar alles stehen und liegen zu lassen und aufzubrechen und sich ein neues Land einen freien von Gottes Segen erfüllten Raum suchen, das ist Glauben.

Liebe Gemeinde,

wenn ich vom Glauben des Abraham spreche, muss ich auch kurz Stellung nehmen zu der sie so verstörenden Geschichte vom vermeintlichen Befehl Gottes an Abraham seinen Sohn Isaak zu opfern. Wir schütteln mit dem Kopf, erinnern uns allenthalben als gruslige Märchen und verstehen nicht, was das mit dem Glauben an unseren barmherzigen Gott zu tun haben soll. Die Überlieferung der Abrahamgeschichte gehört zu den ältesten der Bibel. Ihre mündliche Tradierung reicht bis 1500 Jahre vor Christi Geburt zurück. Damals war es sehr wohl üblich und oft gesellschaftlich sogar geboten nicht nur bei Inkas und Azteken, sondern auch in den Hochkulturen des Nahen- und mittleren Ostens, die männliche Erstgeburt kultisch zu töten. Es war Bestandteil des Glaubens, mit der Gabe des Wertvollsten, sich die Liebe und Fürsorge des Allschöpfers zu erhalten. Die Beschneidung ist bis heute ein kultisches Relikt, Gott etwas des eigenen Blutes zu schenken. Die Abrahamfrage ist aber: bedarf Gott des Lebens eines Menschen als Opfer? Ginge ich dieser Frage nach, wären wir schnell beim Karfreitag und der Opfertheologie, das ist heute nicht das Thema. Für unsere Frage nach dem Glauben ist mir aber wichtig: Abraham vertraut nicht kultischer Tradition, sondern der Offenbarung Gottes. Er glaubt dem, was Gott ihm sagt. Und der All eine sagt ihm: ich kenne deinen Glauben, mehr an Liebe bedarf ich nicht. Nimm ein Tier zum Opfer und bewahre deinen Sohn. Auf seinen Glauben an Gottes Wort an ihn, folgt Abrahams Handeln.

Liebe Gemeinde,

kann es Glauben ohne Werke geben?

Selbstverständlich Nicht! Glauben erwachsen aus lebendiger Gottesbeziehung wird Antworten finden in schlüssigen Umsetzungen , in konkreten Taten. Wer glaubt, wagt es, aufzubrechen. Wer glaubt, nimmt eigenes Lebensland in Besitz. Das fordert oft Entscheidungen. Wer glaubt schaut nicht zurück, sondern voll Gottvertrauen in die Zukunft. Wer glaubt lässt Überkommenes hinter sich und folgt den Anweisungen des Herzens. Glauben ist mehr als Für wahr halten. Das kann jeder. Glauben ist aber eine Interaktion. Und Jakobus hat völlig Recht: ein Glaube, der mich nicht verändert, der in meinem Tun ohne Konsequenzen bleibt ist so tot und so brauchbar wie Möwenschisss. Ich bin mir sicher, das sah auch Martin Luther so. Das Problem der theologischen Auseinandersetzung liegt an einem falsch verstandenen Inhalt des Begriffes „Werk“. Was sind das für Werke über die die Anhänger des Paulus und die des Jakobus streiten? Es sind nicht wie wir heute zu verstehen meinen diakonale Werke, schlicht Gutes Tun oder Werke persönlicher Lebensentscheidung. Streiten Paulus und Jakobus über Werkefrömmigkeit meinen sie die Vorschriften, die sich aus dem mosaischen Gesetzen ergaben, Vorschriften von Ehescheidung, Speiseordnung bis hin zu Regeln wie viele Schritte am Sabbat erlaubt sind. Über diese Werke streitet die Urkirche. Und die Christengemeinde ist sich einig darüber, dass eine geistlose Befolgung religiöser Gesetze nicht automatisch Gottes Barmherzigkeit nach sich zieht. Ebenso führen auch nicht wie es Luther zu recht abmahnte ständiges Beichten und nur äußerliche Bußpraxis ohne eine ehrliche Conversio – ohne eine tatsächliche persönliche Hinwendung zu Gott, ohne ein Eintreten in die liebende Beziehung, zum Heil in Gottes unendlicher Geborgenheit.

Natürlich kann es keinen Glauben geben ohne das, was wir heute unter guten Werken verstehen. Das ist aber nicht Thema der Auseinandersetzung zwischen Paulus und Jakobus. Sondern die Jakobusgemeinde wirft den Paulinern vor, sämtliche jüdische Traditionen, die ja bitteschön auch die Glaubens- und Lebensweisen Jesu selbst waren, über den „Haufen zu werfen“. Jakobus mahnt an, dass eine christliche Gemeinde, die ihre jüdische Tradition leugnet, er bringt bewusst Abraham und Rahab in Erwähnung, auch ihre diakonale Verantwortung vergisst. Denn natürlich führt die Aussage des Paulus, nur der Glaube mache gerecht vor Gott, in die Versuchung, gar nichts weiter zu tun und sich durch den Akt der Taufe allein in der Nähe Gottes zu meinen.

Liebe Gemeinde,

wir Christen haben leider ein durch das Neue Testament und die Kirchenväter sehr einseitig geprägtes Bild jüdischer Frömmigkeit. Wir meinen, das Leben derer Regeln und Vorschriften sei oberflächlich, zwanghaft und habe nichts mit dem Gott der Freiheit zu tun. Es kann doch aber sein, dass gottgläubige Menschen, die in tiefer Herzensbildung der Schöpfung bestes suchen und in Erwartung des Reiches Gottes leben in der Befolgung eines Regelwerkes auch einen Raum der Freiheit finden. Einen Raum der Freiheit für Spiritualität ebenso wie für gelebte und selbstverständliche Diakonie. Jesus lebte nach den Gesetzen der Thora. Er verurteilte aber jene, die nur Gesetze lebten ohne Durchdringung einer echten persönlichen Gottesbeziehung. Liebe Schwestern und Brüder 2000 Jahre Kirchengeschichte haben die Botschaft Jesu geformt. Christliche Theologie ist von griechischer Philosophie geprägt, durch römisches Recht gestaltet und verbreitet und durch germanische Feste kultisch weiterentwickelt. Aber wieviel jüdische Tradition hat unser Glaube an den Juden Jesus von Nazareth noch? Uns Theologen wurde zum Trost gelehrt: Gottes Geist lebt und wirkt mit seiner Kirche durch die Zeit. Das darf uns aber nicht von unserer Pflicht entbinden auf unserem gemeinsamen Weg des Glaubens immer wieder nach der Quelle unseres Glaubens und Hoffens zu suchen und unsere eigentlichen Wurzeln zu verlebendigen.

Paulus hat Recht, dass nur ein gefeßtigter tiefer Glaube gerecht macht. Ein solcher Glaube lebt dann in diakonaler Antwort. Und Jakobus hat Recht, wenn er die junge Kirche ermahnt, sich ihrer Wurzeln nicht zu berauben. Wir als Hörerinnen und Hörer von Gottes Wort bleiben auf der Suche nach dem, was wahr ist und in Erwartung auf die Wiederkunft Gottes in unsere Zeit und Wirklichkeit.

AMEN

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