Predigt 5. So. n. Trinitatis

 wie es begann

…und jedem Anfang liegt ein Zauber inne

Liebe Gemeinde, sie kennen diese Zeilen aus Herrmann Hesse‘s Gedicht „Stufen“

Bereit zu Abschied und Neubeginne, neue Bindungen, ein Anfang der hilft zu leben…

In seinem Kreise traulich eingewohnt droht zu erschlaffen, nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Das mögen gerade die Gefühle gewesen sein, die für die Fischer am See die Begegnung mit Jesus unvergesslich gemacht haben. Gehört haben die Jungs schon mal von ihm. Der Mann kommt jenseits der Berge aus Nazareth. Und dieser „Tu nicht gut“ zieht einfach von Dorf zu Dorf und predigt. Ihre Arbeit als Fischer ist hart. Ein guter Fang ist nicht mehr garantiert. Seid so viele Nichtjuden Tiberias bevölkern, um Geschäfte zu machen, fischen die ihnen auch noch ihre bislang sicheren Bestände ab. Städter wollen ernährt werden. Dieser Zimmermannssohn, der traut sich was… der nimmt sich was raus…woher nimmt er diese innere Freiheit – einfach alles stehen und liegen zu lassen und hier bei ihnen am See zu predigen? Wovon lebt der eigentlich? Menno und wir schuften uns hier ab- kommen nicht raus aus dem täglichen Einerlei, haben geheiratet, ernähren die Familie, zahlen Haus und Versicherung, haben uns nicht viel gegönnt…Einige von ihnen kennen dieses Gefühl des Udo Jürgens Schlager – welchen meine ich? (ich war noch niemals in New York)

Lähmende Gewöhnung – und dann begegnen die Fischer Jesus. Völlig unangestrengt, als wäre es das Normalste von der Welt, steigt er in ein Boot und bittet den Simon, der eigentlich im Feierabend ist, ihn etwas hinaus zu fahren. Keine Widerworte, kein Protest – ist er es vielleicht, der den Schlüssel bereit hält, mein Sehnsuchtstor zu neuem Land aufzuschließen? Ist er es, der mir die Anschubskraft verleiht, mich zu verabschieden und neu anzufangen?

Liebe Gemeinde, wenn wir uns erschüttert fragen, warum Kirche an Relevanz verliert und warum wir allgemein als langweilig gelten und unsere Zahlungsbeiträge als überflüssig erachtet werden, finden wir in der Erzählung von der Jüngerberufung, in dieser Darstellung des Anfangs der jesuanischen Sammlungsbewegung, vielleicht Hinweise darauf, warum. 

Da ist zunächst Jesus selbst. Auch wenn bibelwissenschaftlich erwiesen seine Theologie pharisäisch geprägt ist, wissen wir nichts darüber, ob er eine klassische Rabbinerausbildung genossen hat. Auf jeden Fall hat er nicht 12 Semester Theologie studiert, davon 4 Semester allein 3 alte tote und nicht wirklich nützliche Sprachen. Nach seiner Zimmermannslehre zog er sich vielmehr in die Wüste zurück, vielleicht nach Qumran in eine klosterähnliche Gemeinschaft. Anschließend bestärkt durch den Geist Gottes wurde er nicht Rabbiner einer Synagogengemeinde, wo er Sabbat für Sabbat zum Gottesdienst einlädt und seine Schäfchen zählt. Jesus macht sich auf den Weg. Seine Theologie im Gepäck ist das mosaische Gesetz, was braucht es mehr? Seine Deutung sind keine sophistischen Spitzfindigkeiten, sondern Geschichten aus dem Leben. Er wartet nicht auf die Eingeladenen, er sucht die auf, die Gott einlädt und er sucht sie da auf, wo sie leben. Der Mann aus Nazareth teilt mit ihnen das Milieu, das ihnen vertraut ist. 

Viele Menschen kommen heute nicht mehr in unsere Gottesdienste, weil sie ihnen fremd geworden sind. Sie wissen nicht, was abgeht, fühlen sich daher ausgeschlossen, kommen mit den Abläufen nicht mehr klar, schämen sich, empfinden, nicht dazu zu gehören. Mir erginge es so bei einem Footballspiel, einer japanischen Teezeremonie oder den Gepflogenheiten des Wacken Open Air. Natürlich predigt Jesus auch in der Synagoge. Seinen Jünger*innenkreis findet er aber in ihrem eigenen Lebensumfeld. Und dort spricht er sie an. Für jeden findet er dabei den richtigen Ton. Simon z.B. braucht klare Ansagen. Fahre mich mal auf den See und werfe deine Netze aus. Hierbei regt sich nun zarter Protest. Simon Petrus kennt sich aus. Er ist Fischgroßhändler, er hat mehrere Schiffe mit Mitarbeitern. Was weiß denn der Zimmermann vom Fischen? Nachts fängt man oder gar nicht. Aber Simon macht es trotzdem.

Liebe Gemeinde, die Kunst, den richtigen Ton zu finden setzt voraus, achtsam zu erspüren, mit wem man es zu tun hat, wie diese Person tickt und auch ohne Worte zu erspüren, was sein Thema, was seine Not, was seine Frage an das Dasein ist. Jesus vermochte das. Er kannte die Not der Fischer und er las in ihren enttäuschten Gesichtern. 

Meister, wir haben nichts gefangen, aber auf dein Wort, versuchen wir es nochmal, obwohl es nach allem was wir gelernt haben, völlig aussichtslos ist.

Ja, Jesus vermochte Menschen anzusprechen. Menschen, die nicht übersättigt sind von dem, was das Leben ihnen bietet, sondern Menschen, die noch eine Sehnsucht im Herzen tragen, Menschen, die sich fragen: war es das oder kommt noch was? Und die trifft Jesu Botschaft:„ Ich bin gekommen, damit ihr das Leben habt und zwar in Fülle“ und damit meinte er nicht, was man sich erarbeitet oder selber kaufen kann, sondern er meinte das, was es ausmacht aufzubrechen in neues Land, für sich danach zu greifen, was das Eingewohnte sprengt. Ja und so ist Reich Gottes, werf deine Netze aus, fang es dir. Fang es dir, aber nicht nach den Gesetzen, die du gelernt hast, den Regeln, die dir vertraut, antrainiert, kompatibel und konform sind, nicht nach dem, von dem allgemein behauptet wird, dass es erfolgreich ist. „Meister wenn du es sagst…“ Kirche wird da, wo, wir strickte Konzeptgläubigkeit drangeben für charismatische Gottgläubigkeit. Nachfolge gelingt, wo wir nicht vor der Aussichtslosigkeit resignieren, sondern verrückt genug bleiben, etwas zu wagen. Das Wort Gottes trägt sich weiter, wo Menschen auf ihre Weise ihm antworten dürfen. 

Liebe Gemeinde, viele Geschichten, um den Mann aus Nazareth spielen am Meer von Galiläa. Wasser ist seit jeher ein Traumbild für das Leben. Wasser reinigt, es spiegelt mein Gesicht ebenso wie oftmals das unendliche Blau des Himmels. Wer über das Wasser zu schreiten vermag, der meistert das Leben, der droht nicht unterzugehen. Wasser steht einem schon mal bis an den Hals. Wellen schlagen über uns zusammen. Und die Mythen der Völker erzählen davon, dass du Wasser überqueren musst, um weiter zu leben.

Nicht irgendwo auf dem See Genesareth sollen die Fischer ihre Netze auswerfen. Sie mögen es tun an seiner tiefsten Stelle.

Vielleicht fischt Kirche heute so oft im Trüben, weil unsere Boote nicht weit genug hinaus fahren ins Leben. Vielleicht bleiben unsere Netze leer, weil wir noch den Sichtkontakt mit dem vermeintlich rettenden Ufer suchen. Aus Angst, selbst zu ertrinken, gehen wir nicht in die Tiefe – übrigens jeder von uns. Aber eben nur so funktioniert das mit diesem Jesus. Wenn sich das Boot nicht selbst riskiert auf das wir setzen und das kann jeder von euch auch für sein eigenes Leben übertragen, wenn wir das Boot nicht riskieren, wird unser Fang des Lebens auch nicht zum Zerreißen voll. Wo Entscheidungen vielleicht am Bedrohlichsten erscheinen, dort ist für das Leben oft Heil zu finden. Wir haben eine Sehnsucht und fürchten uns davor, die Chance sie zu erfüllen zu ergreifen. Wie oft ist dies die Tragik menschlichen Lebens. Daher der sich wie ein Mantra durch die Evangelien ziehende Satz Jesu: „Fürchte dich nicht!“  

Für die Männer am See war nach der Begegnung mit Jesus das alles klar. Mehr Sicherheiten wollten sie von dem Wanderprediger gar nicht haben. Wer uns so abholt, dem glauben wir die Nachricht vom Kommen des Reiches Gottes. Wer selber alles für uns riskiert, für den bin ich bereit, mich lähmender Gewöhnung zu entraffen und aufzubrechen in gelobtes Land.

„Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“

AMEN

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