Die Heilung des Gelähmten

Liebe Gemeinde,

wenn sie Israel bereisen, führt sie ihr Weg, wenn sie im Norden des Landes unterwegs sind immer auch in die Stadt Jesu – Kapharnaum. Hier hielt der Wanderprediger sich am Liebsten auf, während seiner Zeit in Galiläa. Er wohnte im Haus des Petrus, eines gut konstituierten Mittelständlers. Sein Wohnhaus wurde zeitnah der jungen Jesusbewegung zu einer Hauskirche. Und bei Ausgrabungen entdeckte man eben diese mit eindeutigen Hinweisen auf die Verehrung dieses Ortes als Lebensort Jesu. Wenn sie Kapharnaum besuchen, dann haben sie einen Eindruck von der Größe, vielmehr der Gedrungenheit dieses Fischerdorfes, den engen Gässchen und der dichten Bebauung. Genau über dem Haus des Petrus wurde in den 80er Jahren eine moderne Kirche errichtet mit einem Glassfussboden. Dieser ermöglicht ihnen die gleiche Perspektive, wie ihn die Männer in unserer Geschichte von heute hatten. Sie blicken von oben durch das Dach in den Wohnraum.

Was hat diese Männer bewogen alle logistischen Schwierigkeiten zu überwinden für diesen Freundschaftsdienst? Sie tragen eine Person, die die Angst vor dem Leben ans Bett fesselt. Ein Wort des Nazareners wird ausreichen diesen Menschen wieder in Bewegung zu setzen:

„Mein Kind, dein unrechtes Tun ist dir vergeben. Nimm deine Schlafmatte und geh.“ 

Liebe Gemeinde, 

Schuldgefühle lähmen. Du gehst kein Wagnis mehr ein. Jede Bewegung könnte ein Schritt in die verkehrte Richtung sein. Du willst ja auch niemandem auf die Füße treten. Bei der Erziehung der Kinder, bei der Pflege des alten Vaters, bei der Duldung in der lieblosen Ehe war es schon dein dominierendes Gefühl: du bist Schuld für Fehlentwicklungen, für das nicht Genügen, für die Unzufriedenheit. Alles deine Schuld. Den Wert des eigenen Lebens zu genießen gibt’s du auf. Beweg dich bloß nicht, es lauert überall Gefahr ein Fettnäpfchen zu finden, das dann garantiert wieder deines ist. Es lauert überall Gefahr, es anderen nicht Recht zu machen. Dein Leben wird zu einer einzigen Erstarrung: Jesus spricht diese Person an mit mein Kind, wie wenn er der Erkrankten die Chance geben möchte, das Leben noch einmal von vorn zu beginnen. Mein Kind, fühle dich geborgen, habe Vertrauen. In meiner Nähe bedarf es keiner Angst. Erkenne dich ohne Betrug und Lüge, die dir von Aussen zugefügt. Im wahrsten Sinn des Wortes, steh zu dir selbst!

Verbirg dich nicht länger in Ohnmacht, Duldung und Selbsthass. Nimm dein Leben in die Hand und wenn du dabei anderen in deren Lebenskreisen Verletzung zufügst aus deren Wahrnehmung heraus, sei gewiss, ebenso wie du, sind auch sie und ihre Kränkungen aufgehoben in der Liebe und Erlösung Gottes. Du aber setze dich in Bewegung. Frust und Unvermögen deiner Umwelt obliegen nicht deiner Schuld. So ist das Leben und Gott trägt, nicht du. Was du zu tragen hast ist deine Schlafmatte, wach auf und lebe dein Leben.

Liebe Gemeinde, 

für die Lähmung des Daseins gibt es eine Heilung.

Alles beginnt damit, dass ein paar Leute der Umgebung die Initiative ergreifen. Sie nehmen die gelähmte Person wie sie ist. Sie nehmen sie ernst. Scheinbar bestätigen sie damit die Symptomatik. Wie der Erkrankte es verlangt und bedarf, tragen sie ihn zu Jesus. Und alles sieht zunächst so aus, als wenn bei all diesen Bemühungen durchaus nichts Neues passieren könnte. Schon oft wird es so gewesen sein, dass Freunde diesen Kranken genommen und getragen haben, ohne ihm wirklich helfen zu können, ja ohne überhaupt darauf hoffen zu dürfen, dass Hilfe möglich sei. Alles, was bisher geschah, war allenfalls eine Form von Linderung, mehr stand nicht zu erwarten. Und trotzdem glauben diese Männer fest daran, dass sich doch etwas ändern könne,

nicht durch sie selber, dabei bleibt es,

aber durch diesen Mann geboren in Nazareth. In gewissem Sinn ist diese Hilfeleistung der Männer wie ein Fürbittebet. Wenn wir Menschen so beten, dann bitten wir doch eigentlich immer um ein Wunder: Herr lass das eins und eins nicht zwei ergibt. Diese Männer lassen sich nicht aufhalten. Sie wissen, dass es jetzt unbedingt darauf ankommt, alle äußeren Widerstände zu überwinden, um zu Jesus durchzudringen und zwar mit dem Gelähmten. Man muss äußere Sperren überwinden, das Gedränge, die Proteste, das Abwinken. Auf welchem Weg auch immer, wir wollen diesen Menschen unmittelbar vor Jesus legen. Ihm wollen wir die Lähmung überlassen, unabweisbar, unübersehbar

Stellen sie sich mit mir in die Kapharnaumkirche. Wir haben das Dach abgedeckt und lassen die Schlafmatte hinunter. Wir schauen von oben herab auf das Geschehen.

Mehr was wir getan haben vermag kein Mensch, kein Arzt, kein Seelsorger für jemand anderen tun. Es bedarf an Phantasie, Hartnäckigkeit, Zudringlichkeit ja sogar den Mut Grenzen vermeintlichen Anstands zu überwinden. Wir haben gerade eines Mitbewohners Dach abgedeckt. Wir haben einen Kranken zu Jesus gebracht, dafür tun wir alles,  Shitkram auf das Geschwätz der Leute. Vielleicht können wir selbst nicht genau begründen, worauf unsere Hoffnung fußt. Wir haben es getan und sind jetzt Beobachter durch die Decke des Hauses. .

Ablassen konnten wir die Gelähmte Person, hochziehen, das ist schier unmöglich. Eigentlich lassen wir dir nur einen Ausweg: durch die Tür, durch die Menge der Leute, durch die Lebensstrukturen, die dich lähmen.

Wir die Freunde, wir tragen dich. Wir dachten lange Zeit, dass sei unsere Aufgabe. Wir legen dich jetzt vor den, der mit Vollmacht eines gesegneten Menschen spricht und der zutiefst selber aus kindlichem Vertrauen heraus lebt und sich geborgen weiß durch den Allgebärer.

Wir legen dich zu Füßen der Geborgenheit, die dich meint ohne Leistung, schuldenfrei, geliebt wie ein Kind, das die ersten Schritte wagt.

Vielleicht verlässt uns unsere Kraft, dich permanent weiter zu tragen. Ja vielleicht legen wir mit dir auch unsere eigene Last und unser Schuldgefühl dir nicht besser helfen zu können, in den Schoss tröstenden Vergebens und bergender Liebe.

Und das Erlösungswort.

„Mein Kind, dein unrechtes Tun ist dir vergeben. Nimm deine Schlafmatte und geh“ es befreit auch uns.

Liebe Gemeinde,

glücklich wer solche Freunde hat, die alles riskieren, um des Lebens eines Einzelnen willen. Glücklich wer Freunde hat, die bereit sind auch an das Unmögliche zu glauben auch um der eigenen Hoffnung wegen. Glücklich wer solche Freunde hat, die Dächer für uns abdecken, aber auch wissen, wann es Zeit ist loszulassen. Denn ihr Dienst war der notwendige Anfang der Heilung. Aber die Schritte ins eigene selbstbestimmte Leben

– und jetzt wechseln wir wieder die Perspektive und verlassen das Dach in Kapharnaum –

die Schritte ins eigen bestimmte Leben ohne dem Gefühl, nicht zu genügen, ohne Angst, es nicht Recht zu machen, ohne lähmende Trauer, permanent selbst zu kurz zu kommen, diese Schritte muss jeder Gelähmte selber gehen. Heil an Leib und Seele kann ich werden, wo ich vermag zurückzukehren in kindliches Vertrauen, mein Leben zu leben wie es gemeint ist und nicht wie andere es meinen. In der Nähe Jesu spürten Menschen, und das ist das Wunder,  dass ihnen dies genau erlaubt war und gesegnet aus dem Herzen Gottes. Diese befreiende Nähe zu Jesus und ein Leben unter geöffneten Dächern wünsche ich uns allen,

AMEN

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